Donnerstag, 1. März 2012

Deichkind - Befehl von ganz unten

Die Evolution des Prolls!

1. Tetrahedon 2. 99 Bierkaniser 3. Befehl von ganz unten 4. Leider geil (leider geil) 5. Der Mond 6. Illegale Fans 7. Partnerlook 8. Bück Dich hoch 9. Egolution 10. Pferd aus Glas 11. Der Strahl 12. Die rote Kiste 13. Roll das Fass rein 14. Herz aus Hack 
   Es war ein weiter Weg von „Nicke mit dem Beat und beweg Dein Arsch!“ bis zu „Grapsch Dich, quetsch Dich, schleim Dich hoch“, auch wenn das textlich nicht sofort zu erkennen ist. Deichkind sind ihn gegangen, vielleicht so konsequent wie keine zweite Band vor ihnen. Als die große Baggypantsblase sowohl in Stuttgart als auch in Frankfurt und Hamburg Anfang der Nullerjahre zerplatze, versuchten sich die Hamburger längst in Mülltüten-Techno, nur eine der vielen Zwischenstationen, die zur aktuellen Soundfindung beitrugen. Dass diese Konsequenz auch immer wieder Opfer mit sich bringt, sieht man am munter vor sich hin trudelnden Personalkarussell der „Crew vom Deich“. Lediglich Philipp Grütering ist von der Stammformation noch übrig geblieben und mit Sebastian Hackert ist vor zwei Jahren zu allem Überfluss auch noch der langjährige Haus- und Hofproduzent verstorben. Und was machen Deichkind? Sie bleiben weiter konsequent und legen mit „Befehl von ganz unten“ das beste Album ihrer Karriere vor, welches endlich sämtliche Stärken der Band vereint.

Schon auf dem Opener werden originelle Raps gekonnt mit Kirmesbeats der vermischt, sodass sich „99 Bierkanister“ wohl auch perfekt als Eröffnungssong für die anstehende Tour eignen würde. Der Titeltrack legt dann danach noch nen Zacken zu und empfiehlt sich als potentieller Diskostampfer für alle Altersklassen. Zugegeben, die aktuelle Single „Leider geil (leider geil)“ muss man ein paar Mal hören, aber dann wird es schnell zum Highlight dieser Parade der Hirngespinste, weil es wie kein anderes Stück eine Brücke zwischen dem HipHop des Debüts „Bitte ziehen sie durch“ und den Elektroflausen der Deichkind-Neuzeit schlägt. Oder, um es in den Worten der Band auszudrücken: „Hier in diesem Lied hat sich gar nix gereimt, hat keiner gemerkt – leider geil!“




 
 

Natürlich darf auch der Hit der Platte in der Tradition von „Remmidemmi“ und „Arbeit nervt“ nicht fehlen: Auf der Tracklist finden man ihn an 8. Stelle, er heißt „Bück Dich hoch“ und ich selbst habe schon mindestens zweimal betrunken dazu getanzt. Doch wer hier nur den blanken Nonsens vermutet, hat die Band einfach nicht begriffen. Hinter dem Ohrwurm verbirgt sich genauso wie hinter dem elektroclashigen „Illegale Fans“ ein durchaus ernst zu nehmendes gesellschaftskritisches Statement. In diesem Sinne hat die Band viel mit den Simpsons gemein, die ja auch auf verschiedenen Ebenen funktionieren. 
 
Wer das ruhigere, treibende “Luftbahn” der letzten Platte mochte, der wird auch an “Der Mond“ und „Der Strahl“ gefallen finden. Wer es gerne etwas verschrobener mag wie ich, dem werden bei Eigenartigkeiten wie „Egolution“ und „Partnerlook“ die Freudentränen in die Augen schießen. Fast jeder Track hält mühelos die Balance zwischen Anspruch und Irrsinn. Wer dann noch den Größenwahn besitzt ein solches Album mit einem Punksong wie „Die rote Kiste“ abzuschließen, der gehört wahlweise in die Klapse oder an die Spitze der Charts. Schön, dass der Band zweiteres nun mit dieser LP gelungen ist. Von mir gibt’s dafür ne ellenlange Zigarette. Die passenden Drogen müssen die Jungs aber selbst reintüten.

erschienen am 12.02.2012 via Universal

Wertung:














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